Über das Mathematisieren


Zitate zur Webseite von Rolf Vonhoff



Vielleicht ist ,,Mathematisieren'', wie Musizieren, eine schöpferische Tätigkeit des Menschen, deren Produkte nicht nur formal, sondern auch inhaltlich durch die Entscheidungen der Geschichte bedingt sind und daher vollständiger objektiver Erfassung trotzen.

Hermann Weyl: Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft (1949)1

 

Wir untersuchen jetzt den ,,polaren'' Fall.

Hermann Weyl: Über gewöhnliche lineare Differentialgleichungen mit singulären Stellen und ihre Eigenfunktionen (2. Note) (1910)2

 

Zwar spiegelt sich in den Strukturen und Mustern der Mathematik wie in den musikalischen Strukturen und Mustern der menschliche Geist selbst wider, aber die Menschen besitzen eben kein den Ohren äquivalentes Sinnesorgan, mit dem sie Mathematik einfach wahrnehmen könnten. Mathematik kann man nur mit den Augen des Geistes sehen.

Keith Devlin: Muster der Mathematik (1997)3

 

The mathematician's patterns, like the painter's or the poet's, must be beautiful; the ideas, like the colours or the words, must fit together in a harmonious way. Beauty is the first test: there is no permanent place in the world for ugly mathematics.

G.H. Hardy: A Mathematician's Apology (1940)4

 

Nein, wenn über den Nachweis der Widerspruchsfreiheit hinaus noch die Frage der Berechtigung zu einer Maßnahme einen Sinn haben soll, so ist es doch nur die, ob die Maßnahme von einem entsprechenden Erfolge begleitet ist. In der Tat, der Erfolg ist notwendig; er ist auch hier die höchste Instanz, der sich jedermann beugt.

David Hilbert: Über das Unendliche (1925)5

 

The history of mathematics is largely absent from the 'culture' of the educated public, historians and mathematicians included.

Ivor Grattan-Guinness: The Fontana History of the Mathematical Sciences (1997)6

 

Für den, der echte Erfahrung in mathematischer Arbeit hat, sei es auf elementarem oder fortgeschrittenerem Niveau, kann kein Zweifel bestehen, daß in der Mathematik praktisches Können viel wichtiger ist als der bloße Besitz von Kenntnissen.

Georg Pólya: Vom Lösen mathematischer Aufgaben (1966)7

 

Aber ein mit mathematischen Symbolen überflutetes Mathematikbuch ist noch keine Mathematik, ebensowenig, wie ein Blatt mit Notenschrift schon Musik ist. Ein Notenblatt zeigt nur, was zu tun ist, damit ein bestimmtes Musikstück erklingen kann. Musik entsteht erst, wenn die Noten gespielt werden, erst, wenn das, was auf dem Notenblatt steht, wirklich für uns erklingt. Das gleiche gilt für die Mathematik, nur daß diese nicht gehört, sondern denkend erlebt wird. Die Symbole auf dem Blatt stehen nur stellvertretend für Mathematik. Erst wenn ein kompetenter Interpret (in diesem Falle einer, der mathematisch gebildet ist) sie liest, werden die geschriebenen Symbole lebendig, und Mathematik entsteht im Denken des Lesers.

Keith Devlin: Muster der Mathematik (1997)8

 

Das Unendliche hat wie keine andere Frage von jeher so tief das Gemüt der Menschen bewegt; das Unendliche hat wie kaum eine andere Idee auf den Verstand so anregend und fruchtbar gewirkt; das Unendliche ist aber auch wie kein anderer Begriff so der Aufklärung bedürftig.

David Hilbert: Über das Unendliche (1925)9

 

Will man zum Schluß ein kurzes Schlagwort, welches den lebendigen Mittelpunkt der Mathematik trifft, so darf man wohl sagen: sie ist die Wissenschaft vom Unendlichen.

Hermann Weyl: Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft (1928)10

 

Wer sich wundert, vergegenwärtigt sich des Wunders. Dadurch, daß ich mich sinnlich aufschließe für die Rätsel, die uns umringen, und meine Empfindungen überdenke und analysiere, komme ich in die Nähe der Mathematik. Obwohl exakt-wissenschaftliches Training mir gänzlich fehlt, fühle ich mich öfters mehr mit Mathematikern als mit meinen eigenen Berufsgenossen verwandt.

M.C. Escher: Graphik und Zeichnungen (1959)11

 

ZEHN GEBOTE FÜR LEHRER

  1. Man soll sich für seinen Gegenstand interessieren.
  2. Man soll seinen Gegenstand kennen.
  3. Man soll über das Wesen des Lernens Bescheid wissen: Die beste Art, etwas zu erlernen, ist, es selbst zu entdecken.
  4. Man soll versuchen, von den Gesichtern seiner Schüler ihre Reaktionen abzulesen, versuchen, ihre Erwartungen und Schwierigkeiten zu erkennen, sich in ihre Lage zu versetzen.
  5. Man soll ihnen nicht nur Kenntnisstoff, sondern auch praktisches Können, geistige Einstellungen, methodische Arbeitsgewohnheiten vermitteln.
  6. Man soll sie erraten lernen lassen.
  7. Man soll sie beweisen lernen lassen.
  8. Man soll auf solche Schritte bei der Lösung der Aufgabe, die man gerade durchnimmt, achten, die bei der Lösung zukünftiger Aufgaben nützlich sein könnten - man soll versuchen, das allgemeine Schema freizulegen, das der gegebenen konkreten Situation zugrunde liegt.
  9. Man soll nicht gleich sein ganzes Geheimnis preisgeben - man soll die Schüler raten lassen, ehe man es preisgibt - man lasse sie soviel wie irgend möglich selbst herausfinden.
  10. Man lege nahe, aber man zwinge nicht auf.

Auf welche Autorität gründen sich diese Gebote? Lieber Kollege, erkenne keine andere Autorität an als Deine eigene gut verarbeitete Erfahrung und Dein eigenes wohlüberlegtes Urteil. Versuche, klar zu erkennen, was die betreffende Regel in Deiner besonderen Situation bedeutet, sieh zu, wie sie sich in Deinen Stunden bewährt, und fälle erst dann ein Urteil darüber, wenn Du sie ehrlich ausprobiert hast.

Georg Pólya: Vom Lösen mathematischer Aufgaben (1967)12

 

Examples emphasize my idea about the nature of mathematics and exercises stress my belief that doing mathematics is the way to learn mathematics.

John B. Conway: A Course in Functional Analysis (1990)13

 

The best way to learn is to do; the worst way to teach is to talk.

P.R. Halmos: The Problem of Learning to Teach (1975)14

 

Der Historiker, auch der der Mathematik, hat die Aufgabe, alles Gewesene, zu registrieren, ob es gut war oder schlecht. Ich will aus der Historie nur die Motive für die Dinge, die sich hernach bewährt haben, herausgreifen und will sie direkt oder indirekt verwerten. (...) Nicht um die Geschichte handelt es sich, sondern um die Genesis der Probleme, der Tatsachen und Beweise, um die entscheidenden Wendepunkte in dieser Genesis.

Otto Toeplitz: Das Problem der Universitätsvorlesungen über Infinitesimalrechnung und ihrer Abgrenzung 
gegenüber der Infinitesimalrechnung an den höheren Schulen
(1927)15

 

That's the way it is with any powerful tool: There's always more to learn, and there are always better ways to do what you've done before.

Donald E. Knuth: The TEX book (1984)16

 

Mathematik ist der Name derjenigen Wissenschaft, die sich blos mit Dem beschäftigt, was in Zeit und Raum anschaulich ist und daher mit Zahlen oder Figuren dargestellt, folglich überhaupt berechnet oder gemessen werden kann, weshalb man sie auch eine Größenlehre und eine Meßkunst genannt hat. Man unterscheidet die r e i n e und die a n g e w a n d t e Mathematik, und die erstere betrachtet die Größen nur an und für sich, d. h. als bloße Zahlen oder Figuren, die andere aber sucht die in der That vorhandenen, von Natur oder Kunst gegebenen Größen mathematisch zu bestimmen; es kann daher die reine Mathematik auch als Theorie oder Grunderkenntniß, die angewandte als Benutzung derselben für wirkliche Gegenstände und Vorfälle im Leben angesehen werden. (...) Die Mathematik beschäftigt sich demnach überall nur mit formalen Größen und ist bei der Bestimmtheit, Strenge und genauen Stufenfolge von Erklärungen, Schlüssen und Beweisen, durch welche ihre Lehren zur überzeugendsten Anschauung gelangen und ein von keiner andern Wissenschaft erreichter Grad von Wahrheit erzielt wird, zur Bildung und Gewöhnung des Geistes an ein streng wissenschaftliches Verfahren und zur Schärfung der Denkkraft vortrefflich geeignet.

Bilder-Conversations-Lexikon (1839)17

 

Hat aber denn nur Wert, was sich auf etwas anderes anwenden läßt, dieses auf ein drittes usf.? Was bliebe von Musik wertvoll, wenn man nur Anwendbares gelten ließe?

H. Tietze: Gelöste und ungelöste Mathematische Probleme aus alter und neuer Zeit. 
Vierzehn Vorlesungen für Laien und für Freunde der Mathematik
(1959)18

 

 


Fußnoten:

1 6. Auflage, R. Oldenbourg Verlag, München 1990, S. 279

2 Nachrichten der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Mathematisch-physikalische Klasse (1910), S. 442-467; auch in: Hermann Weyl, Gesammelte Abhandlungen, Bd. I, hg. von K. Chandrasekharan, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1968, S. 222-247, darin S. 239

3 Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin 1997, S. 5

4 With a Foreword by C.P. Snow, Cambridge University Press, Cambridge 1992, S. 85

5 Mathematische Annalen, Band 95 (1925), S. 161-190; auch in: Hilbertiana, Fünf Aufsätze von David Hilbert, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1964, S. 79-108, darin S. 81

6 The Rainbow of Mathematics, Fontana Press, An Imprint of HarperCollinsPublishers, London 1997, S. 8

7 Einsicht und Entdeckung, Lernen und Lehren, Band I, Birkhäuser Verlag, Basel 1966, S. 12

8 Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin 1997, S. 4

9 Mathematische Annalen, Band 95 (1925), S. 161-190; auch in: Hilbertiana, Fünf Aufsätze von David Hilbert, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1964, S. 79-108, darin S. 81

10 6. Auflage, R. Oldenbourg Verlag, München 1990, S. 89

11 in: Leben und Werk M.C. Escher. Mit dem Gesamtverzeichnis des Graphischen Werks, Herausgegeben von J.L. Locher, RVG-INTERBOOK Verlagsgesellschaft MBH, Remseck bei Stuttgart 1994, S. 55

12 Einsicht und Entdeckung, Lernen und Lehren, Band II, Birkhäuser Verlag, Basel 1967, S. 175

13 Second Edition, Springer-Verlag, New York 1990, S. viii

14 I. The Teaching of Problem Solving, The American Mathematical Monthly, Vol. 82, S. 466-476, darin S. 466

15 Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, 36. Band (1927), S. 88-100, darin S. 94

16 Addison Wesley Publishing Company, Reading, Massachusetts 1987, S. vi

17 Bilder-Conversations-Lexikon für das deutsche Volk. Ein Handbuch zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse und zur Unterhaltung, F.A. Brockhaus, Leipzig 1839, Dritter Band, S. 80f.

18 Zwei Bände, C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1959, Zweiter Band, S. 20


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